26.6.2016 Fahrsicherheitstraining

Unsere Selbsthilfegruppe beim Fahrsicherheitstraining

Bei strahlendem Junisonnenschein absolvierten zwölf Mitglieder unserer Selbsthilfegruppe, zwischen 42 und 88 Jahren alt, auf dem Gelände des ADAC-Fahrsicherheitszentrums im brandenburgischen Linthe ein Kompakt-Training für Pkw-Fahrer.

Dieses Projekt konnten wir mit Unterstützung der AOK-Nordost durchführen. Auch an dieser Stelle sei dem Sponsor dafür herzlich gedankt!

Warum ein Fahrsicherheitstraining für amputierte Autofahrer? Nun, trotz körperlicher Behinderung den Alltag so weit und so lange wie möglich selbständig zu meistern, ist doch das Ziel, das jeder von uns hat. Und zum Alltag gehört für viele von uns auch das Autofahren.

Die meisten von uns fahren ihr Auto mit einem speziellen Umbau, der genau ihren Bedürfnissen angepasst ist, und kommen damit hervorragend zurecht. Trotzdem werden wir mitunter mit  Zweifeln und Vorurteilen konfrontiert: kann man auch mit einem Links- oder Handgas oder einer Lenkradhilfe ein guter und außerdem sicherer Autofahrer sein? Kann man genau so schnell wie Nichtbehinderte in Gefahrensituationen reagieren?

In einem Fahrsicherheitstraining wird man mit solchen Gefahrensituationen vertraut gemacht und lernt, richtig und schnell zu reagieren, vor allem einen entschlossenen Gebrauch von der Bremse zu machen.

Das mulmige Gefühl, das fast jeder der Teilnehmer anfangs hatte, konnte unser Sicherheitstrainer schnell zerstreuen. Nach einer kurzen theoretischen Einweisung und der Beschreibung des vor uns liegenden Programms ging es auf die Piste.

Einige unserer Teilnehmer hatten ihre Partner dabei und konnten diese auch als Beifahrer mit ins Auto nehmen. Für unseren Trainer war es nicht das erste Training mit Personen, die ein körperliches Handicap haben. Wie erhofft ging er mit uns allerdings nicht anders als mit sonstigen Autofahrern um.

Auf dem Gelände des ADAC erwarteten uns mehrere Fahrbahnen und Fahrflächen für verschiedene Trainingssituationen. Diese waren mit unterschiedlichen Oberflächen versehen. Außerdem konnten sie so nass gemacht werden, dass das Fahren und Bremsen bei Wasser- und Eisglätte simuliert werden konnte. Auf einer Fahrbahn konnte der Trainer elektronisch gesteuerte Wasserwände und bewegliche Wasserfontänen auftauchen lassen, die Hindernisse und  Hürden simulierten. Die Kollision mit diesen Hindernissen verschaffte uns zwar eine gar nicht gewollte Wagenwäsche, war aber ansonsten ungefährlich! Außerdem gab es eine Kreisbahn.

Einfache Slalomfahrten bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten waren für einige schon die erste Herausforderung. Ein Glück, dass die Kegel aus Kunststoff waren und keinen Ton von sich geben konnten!

Ziel war: wir sollten uns an die Fahrbahn gewöhnen und dabei das Tempo steigern. Über Funk bekam jeder dabei Hinweise zu seinem Fahrverhalten.

Bei der ersten Teambesprechung, machte uns der Trainer auf zu starke Lenkausschläge  und auf eine falsche Sitzhaltung im Auto aufmerksam.  Wir  saßen fast alle zu weit vom Lenkrad und von den Pedalen entfernt, sei es durch die Gegebenheiten der Prothese oder um einfach bequemer zu sitzen. Der Trainer erklärte uns, dass so bei einer nötigen Vollbremsung die Bremse nicht kräftig genug oder nicht vollständig durchgedrückt werden kann, um das ABS auszulösen. Ein optimaler Sitzabstand mit einer steileren Rückenlehne und somit leicht gebeugten Armen am Lenkrad bringt eine bessere Beherrschbarkeit des Autos mit sich.

Es wurde also korrigiert, wobei von uns sofort Einwände  kamen: Bei den Oberschenkelamputierten drückte es in der Leiste, bei den Unterschenkelamputierten in der Kniekehle. Hier musste jetzt jeder seinen richtigen Kompromiss finden. Unser Trainer hat dieses Problem schnell erkannt und bei jedem Einzelnen die optimale Einstellung vorgeschlagen. Das stand sicher nicht im Trainingsplan, war aber für uns äußerst wichtig.

Die ersten zarten Bremsversuche und auch die Vollbremsungen erfolgten in der geänderten Sitzposition, und sofort war die Verbesserung spürbar. Auch bei erhöhtem Fahrtempo saß man fester auf dem Sitz, konnte kräftiger bremsen und war besser in der Lage, das Auto in der Fahrspur zu halten und zügig zum Stillstand zu bringen.

Die Fahrbahn wurde dann befeuchtet,  um die Fahrsituationen Wasser- oder Eisglätte zu simulieren. Zu erleben, wie lang der Bremsweg bei nasser Fahrbahn wirklich ist, war sicher eine wichtige Erfahrung für jeden von uns. Und eine deutliche Mahnung, dem Wetter und der Fahrbahn angepasst zu fahren!

 Unser zweiter Anlaufpunkt war die Fahrbahn, auf der Wasserhindernisse simuliert werden konnten. Die veränderbaren Einstellungen der Wasserfontänen stellten Hindernisse dar, die auch im täglichen Leben jederzeit auf der Straße auftauchen können. Es galt, die Hindernisse entweder zu umfahren oder rechtzeitig vor ihnen zum Stehen zu kommen. Schwierig war es, wenn das Wasser von allen Seiten kam und einem die Sicht nahm.

Vor allem lernte man, wie das Fahrzeug sich auf nasser Fahrbahn bei Aquaplaning verhält, denn man durfte auch nicht von der Fahrbahn abkommen. Auch hier kam es darauf an, entschlossen zu lenken und von der Bremse Gebrauch zu machen. Es bedurfte einiger Wiederholungen für jeden, bis es klappte.

Zwischendurch gab es immer wieder Teambesprechungen. Dabei erfuhren wir von unserer mit 88 Jahren ältesten Teilnehmerin, dass sie ihren Führerschein seit 1951 hat. Sie ist berechtigterweise  stolz darauf, immer noch gut und sicher Auto zu fahren!

Beim letzten Anlaufpunkt ging es um das Über- und Untersteuern in einem mit Wasser rutschig gemachten Kreisverkehr. Dort sollten wir versuchen, mit zunehmender  Geschwindigkeit die Fahrspur zu halten und beim Ausbrechen des Fahrzeugs eine Vollbremsung zu machen. Es bedurfte schon einiger Überwindung, in der Kurve stark zu bremsen. Aber je öfter man es versuchte, desto besser wurde es bei jedem Einzelnen. Alle Übungen zeigten uns, dass man mit dem richtigen vorausschauenden  Verhalten,  mit angemessener Geschwindigkeit, entschlossenem Bremsverhalten und deutlichem Abstand zum Vordermann eine Gefahrensituation entschärfen oder sogar abwenden kann. Bei einem Abschlussgespräch gab es die Möglichkeit, noch einmal Fragen zu stellen und den Tag Revue passieren zu lassen. Es gab für jeden eine Teilnahmebescheinigung, mit der man versuchen kann, bei seiner Versicherung einen Rabatt zu bekommen.

Auf die abschließende Frage an unseren Trainer, ob wir als Körperbehinderte uns nun am Steuer auf dem Trainingsgelände anders verhalten hätten als sonstige Autofahrer, erhielten wir die klare Antwort: Nein, überhaupt nicht!

Ich denke, so konnte jeder von uns bei diesem Training sein Selbstbewusstsein ein Stück weit stärken und sein Auto und seine Grenzen besser kennen lernen. Gesamturteil: Empfehlenswert!

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